Kirche polarisiert. Das war früher noch schlimmer als heute.

War es früher der Glaubenskrieg zwischen (Welt-)Religionen zur kompromisslosen Durchsetzung von Macht, so ist es heute eher subtil. Witze über “den dummen Türken” oder den “geizigen Juden” gehören zum alltäglich Witz und Sprache wie der “pädophile Priester”.

Mir persönlich ist das ja alles schnuppe – soll doch jeder an das glauben was ihm wichtig ist, solange er damit niemanden meint bekehren zu müssen. Extremismus ist niemals gut.

Bei einem Thema wird meine liberale Einstellung allerdings auf eine große, nein extrem-große Probe gestellt: Unsere neue katholische Kirche in Poing.

Es ist jetzt nicht so, dass unsere über die Jahre stark gewachsene oberbayrische Gemeine keine Kirche gehabt hätte. Unsere kleine Pfarrkirche St. Michael ist klein aber fein. Ggf. ist sie besonders an Hochämtern ein klein wenig zu klein für eine Wachstumsgemeinde.

Daher gab es dann auch den Plan für einen Neubau. So richtig mit Architekturwettbewerb und so. Irgendwie scheint das aber mal wieder ein Projekt gewesen zu sein, bei dem die breite Öffentlichkeit nicht wirklich zugeschaut hat – jedenfalls wenn man die Stimmen hier und da hört.

Kirchenkontraste

Für mich besondern ärgerlich ist die Tatsache, dass das Erzbistum sich hier für ein paar viele Euros einen Palazzo Protzto hingestellt hat, allerdings die Sanierung des katholischen Kindergartens die Gemeinde Poing mitbezahlen muss. Versteh das wer will. Ich nicht.

Ich kann mich noch so elegant dieser neuen Kirche nähern, mir erschließt sich deren Konzept und Ästhetik nicht. Das sehen andere auch anders und verleihen ihr einen Preis.

Sprungsschanze Gottes. Die neue katholische Kirche in Poing – die Schönheit liegt im Auge des Betrachters

Über die Architektur und deren Gestaltung habe ich auch schon mit Stefan Senf diskutiert – und der kommt vom Fach. Ich kann da nicht mitgehen.

Man muss Kontraste aushalten können.

P.S.: Die evangelische Kirche in Poing wandert für die sehr sehr besuchten Feiern (zB Weihnachten) einfach in die Aula der Grundschule aus. Auch ein Weg mit der großen Gemeinde ein Fest zu feiern, ohne gleich Tonnen von Sand in Form von Beton für die Ewigkeit zu veredeln. Nur mal so…

Kommentare

Das ist ja nun eine Steilvorlage, Oliver, da muss ich ja antworten 🙂 .

Die Poinger Kirche kenne ich nur aus Publikationen (ein Zustand, den wir gelegentlich ändern sollten). Aber diese Bilder und Pläne erzählen mir von einem Bauwerk, das in sehr angemessener Weise einen modernen sakralen Raum schafft.

Die meisten Bilder zeigen die Kirche von außen, auch Deine Bilder tun das. Lass uns also stattdessen innen beginnen. Der quadratische Grundriss der Kirche umfasst einen ebenfalls annähernd quadratischen Kirchenraum, in dem der Altar und die zugehörigen Einrichtungen leicht außermittig an einer Längswand angeordnet sind. Das alles ist geschichtlich gesehen ein wenig untypisch für eine Kirche und ist ohne Zweifel eine Geste der Offenheit und aufbrechender Traditionen. Die Sockelzone der Kirche ist aus Beton, ja. Aber sie ist aus gemauerten Betonblöcken mit geschliffenen Oberflächen, kein gegossener glatter Sichtbeton. Dadurch erhalten die Flächen eine Haptik und optische Struktur, die gefügt und handwerklich wirkt. Einen menschlichen Maßstab. Über der Sockelzone faltet sich das Kirchendach auf. Die filigranen Faltungen bilden in der Untersicht ein schwebendes Kreuz aus Licht und Schatten. Auch hier wiederholt sich die Asymmetrie als Brechung des traditionellen und gleichzeitig ist es eine Neuinterpretation bekannter Muster. Kirchen aller Zeiten waren häufig in Kreuzformen oder mit Kreuzgewölben gestaltet. Der Innenraum wird an unregelmäßigen Punkten mit großflächigen Fenstern belichtet. In der Sockelzone gewähren die Fenster gerahmte Ausblicke, im Dachbereich versammeln sie eine Vielfalt von Lichtqualitäten in den großen, zeltartigen Dachflächen. Ich würde gerne zu wechslenden Zeiten in dieser Kirche mit der Kamera und einem offenen Blick das Licht beobachten. Kennst Du die Kirche in Ronchamps?

Gehen wir nach außen. Zunächst unterscheidet der Architekt nicht zwischen Innen und Außen: Auch dort zeichnet sich der gemauert Sockel in gleicher Weise und gleicher Wirkung ab. Die Mauerwerksstruktur erinnert mich absolut an alte Sakralbauten, auch vom Steinformat. Alle Symmetrie, aller Schmuck wird aber weggelassen. An seine Stelle tritt eine städtebauliche Reaktion mit asymmetrischen Volumen und Öffnungen. Klassisch modern statt klassizistisch. Das Dach wirkt sehr anders als innen. Das Dach konterkariert etwas die sonst ornamentfreie Haltung der Kirche. es will sich ein wenig auflösen, will die sich ergebende kristalline Außenform in eine kristalline Oberfläche kleiden. Es will dem Licht einen Ort geben um zu spielen, um sich aufzuhalten, um eingefangen zu werden. Es will glitzern. Ich verstehe das sehr gut und es gefällt mir außerordentlich. Ich verstehe allerdings auch die Assoziation zur Kaufhausarchitektur der späten sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Das polarisiert leider. Ich nehme nicht an, dass das gewollt war. Allerdings war es vermutlich akzeptiert.

Zum Schluß noch ein Wort zu Deinen beiden Bildern. Das untere Bild ist ein Klassiker. So kennt man diese Kirche aus Veröffentlichungen. Was man wissen muss: Die Dachkanten sind mittlerweile geschlossen. Das Bild zeigt noch einen Bauzustand. Das obere Bild vermittelt eine Ausstrahlung, als wäre es auf dem Mond aufgenommen. Der Archinaut ist mit seinem Raumanzug beschäftigt und kümmert sich nicht um Bildaufbau, stürzende Linien und Licht. Stattdessen dokumentiert er die unerwarteten Kristallinen Formen im Scheinwerfer seines Mondmobils. Eine Entdeckung. Also für mich ist die Kirche das. 😉

Tja Stefan, nach dem du das Raumschiff nun zwar toll aus einer sehr anderen Sicht beschrieben hast fehlt nun noch der eigene persönliche Eindruck. Fühlt euch eingeladen – wir haben 4 Betten im Gästezimmer frei!

:-p

lg, oli

P.S.: Der Korpus ist aus normalen Beton gegossen und nur so elegant verkleidet.

Die Einladung ist abgespeichert und könnte dieses Jahr noch Ernst werden 🙂 . Und die Bauweise ist dem Wärmeschutz und den Gesetzen der Mechanik geschuldet. Schräge Dachflächen induzieren eben auch eine horizontale Kraftkomponente ins Auflager. Damit kann ‘echtes’ Mauerwerk sehr schlecht umgehen…

Grüße ins Bayrische: Stefan

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